Bericht Dr. Johannes Laufer - November 2024
„Der Kiebitz – Vogel des Jahres 2024. Eine Bilanz der Bestandsentwicklung und der Schutzmaßnahmen einer Initiative zur Kooperation mit Landwirten“
Vor etwa 40 Jahren bot sich im Spätherbst zur Zeit der Zuckerrübenernte das Bild großer Schwärme von vielen tausend Kiebitzen, die auf dem Zug in die Winterquartiere auf Äckern rasteten und „auftankten“. Derzeit ist es schon etwas Besonderes in unserer Region, eine größere Gruppe von deutlich mehr als 100 Kiebitzen zu sichten. Dies ist auch ein Indiz für den allgemeinen, auf etwa 80 Prozent geschätzten Rückgang dieses traditionellen Vogels der Agrarlandschaft in den letzten drei Jahrzehnten allein in Deutschland. In der Roten Liste für Niedersachsen wird der Kiebitz seit 2020 als ‚stark gefährdeter‘ Brutvogel geführt. Im Zuge des Verlusts von Flussauen und extensiv genutztem Weideland verbreitete sich die Art im Hildesheimer Raum seit dem 19. Jahrhundert zunehmend in der Lössbörde, vor allem im Bereich des Zuckerrübenanbaus. Doch inzwischen schrumpfte diese Ackerpopulation dramatisch auf kaum noch 50 Brutpaare. Zudem kamen in den letzten Jahren nur selten erfolgreiche Bruten zustande, um annähernd den Bestand der Vögel zu sichern.
Wenn die Kiebitze Anfang März aus West- oder Südwesteuropa zurückkehren, beginnen sie alsbald mit der Brut, bevorzugt auf noch kahlen oder vegetationsarmen Äckern. Oftmals fallen die ersten Gelege der notwendigen Feldbestellung mit Zuckerrüben, Mais oder zu guter Letzt Kartoffeln zum Opfer. Im Jahr 2024 verzögerte jedoch die Nässe im Frühjahr diese Feldarbeiten bis weit in den April oder Mai, sodass bereits mehr Kiebitzküken als in den Jahren zuvor schlüpfen konnten. Allerdings gefährdet nicht nur die intensive, moderne Landwirtschaft die Kiebitze oder ihren Nachwuchs. Als Bodenbrüter sind sie darüber hinaus seit jeher vielen natürlichen Risiken ausgesetzt. Die in eine kleine Mulde auf den blanken Boden gelegten drei bis vier Eier, aber auch die Küken werden als Nestflüchter leicht zur Beute diverser Prädatoren wie Fuchs, Waschbär, Kolkrabe, gelegentlich auch Greifvögel oder den Weißstorch. Und schließlich können extreme Trockenheit oder Nässe dazu führen, dass die Küken kurz nach dem Schlüpfen verhungern. Zwar sind Kiebitze in der Lage, Verluste durch ein oder zwei Nachgelege in der Saison zu kompensieren. Doch zumeist fällt der Bruterfolg unter dem Strich viel zu gering aus.
Dank einer erfolgreichen Kooperation mit Landwirten aus Algermissen, Kemme, Machtsum und Dinklar gelang es in diesem Jahr, die letzten bedeutenden Brutvorkommen des Kiebitzes im Kreis Hildesheim so zu schützen, dass sich seit langem wieder eine größere Zahl von Küken bis zur Flugfähigkeit entwickelte. Diese Bilanz gibt auch den Aktiven der kleinen NABU-Gruppe zum Artenschutz in der Agrarlandschaft Hoffnung und Motivation für das weitere Engagement zum Schutz des Kiebitzes.